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Sängerin Krähe

Sängerin Krähe (eine Fabel)


Eine hässliche alte Krähe sah im Winter einmal ein Stück verschimmelten Käse auf der Landstraße liegen. Mit lautem Gekrächz stürzte sie sich auf den Käse, nahm ihn in den Schnabel und flog auf eine kahle Linde, wo sie ihn in Ruhe verspeisen wollte.
Da kam der Fuchs des Weges, dem vor Hunger der Magen knurrte. Er hatte seit Tagen nichts gegessen, kein Häschen, nicht einmal ein kleinen Vogel. Und in der vergangenen Nacht hatte ihn der Hund des Bauern verbellt, als er in seiner Verzweiflung in den Hühnerstall einbrechen wollte. Der Fuchs sah die Krähe auf dem Baum und dachte: Ein Stück Käse ist besser als nichts, besser auch als dieser Vogel, dessen Fleisch zäh ist und bitter schmeckt. Also begann er die Krähe anzureden: „He Frau Krähe, wie geht’s? Neulich als ich in der Stadt war, erzählte man sich so viel von Ihnen.“
Die Krähe sah erstaunt zu dem Fuchs hinunter. „Ja, ja man rühmte Ihre Schönheit und sprach auch davon, wie herrlich Sie singen können.“ Der Krähe gingen diese Worte ein wie Honig. Das hatte noch niemand von ihr gesagt. Geschmeichelt plusterte sie ihr Gefieder auf. „Ach liebe Frau Krähe“, fuhr der Fuchs fort, „singen Sie mir doch ein Liedchen, damit sich mein Herz erfreuen und damit ich meinen Hunger vergessen kann.“ Darum ließ sich die eitle Krähe nicht zweimal bitten. Sie holte tief Luft, sperrte den Schnabel weit auf und ließ ihr misstönendes „Krah-Krah“ erschallen. Dabei fiel das Stück Käse aus ihrem Schnabel. Der Fuchs sprang hoch in die Luft, erhaschte es im Fallen und verschlang es mit einem Haps. „Vielen Dank, Frau Krähe!“ rief er dann.
Die Krähe aber musste einsehen, dass Eitelkeit nicht gut tut. Wie man sagt, hat sie nie mehr zu singen versucht. (nach Krylow)

 

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